Ischias
Ischiassyndrom ganzheitlich behandeln
Als Ischiassyndrom oder Ischialgie werden Beschwerden im Versorgungsgebiet des Ischiasnervs bezeichnet, die sich durch ziehende Schmerzen die Rückseite des Beins hinunter, im Unterschenkel und häufig auch im Fuß bemerkbar machen, dort meist als Kribbeln, Taubheit und sogar als motorische Ausfälle. Ursache ist eine Beeinträchtigung des Ischiasnervs (Nervus ischiadicus), des längsten und dicksten Nervs des Menschen.
Der Ischiasnerv entspringt beidseitig aus dem Plexus lumbosacralis, einem Nervengeflecht, das aus Spinalnerven im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins gebildet wird. Der Ischiasnerv verlässt in Höhe des Gesäßes das Becken, an der Austrittsstelle zieht der Nerv unterhalb des Musculus piriformis durch eine knöcherne Öffnung des Beckens.
Ischialgien können durch alle Formen von Kompression des Ischiasnervs entstehen, nicht nur wie meist sofort angenommen wird durch die Kompression von Spinalnervenwurzeln durch einen Bandscheibenprolaps oder Bandscheibenvorfall. Es macht keinen Sinn, verursacht aber hohe Kosten, Patienten mit Ischiasbeschwerden sofort zur Kernspintomographie der LWS zu schicken.
Eine Ischialgie ist häufig ein "Piriformissyndrom"
Eine erste diagnostische Prüfung sollte dem Spannungszustand des Piriformismuskels gelten. Dieser Außenrotator des Hüftgelenks liegt unter dem Pomuskel und verbindet den großen Trochanter des Oberschenkelknochens mit dem Kreuzbein und wirkt als Strecker und Außendreher des Beins im Hüftgelenk. In unserer Gesellschaft ist er durch die überwiegend sitzende Haltung, durch Übergewicht, durch gewohnheitsmäßig außenrotierte Hüftgelenke (Charlie Chaplin Gang) und durch schlechte Haltung häufig verkürzt, verdickt, hat Triggerpunkte ausgebildet und nimmt den Ischiasnerv buchstäblich in die Zange. Die Ischialgie ist daher häufig ein „Piriformissyndrom“. Wenn sich das durch gründliche Untersuchung und Behandlung bestätigt, dann ist das eine gute Nachricht, denn den meisten Menschen ist es lieber, wenn ihre Beschwerden von verkürzten Muskeln und nicht von einem Bandscheibenproblem kommen.
Eine praktische Streckungsübung für den Piriformismuskel
Myofasziale Triggerpunktarbeit an den betroffenen Muskeln kann hier in vielen Fällen schnelle und nebenwirkungsfreie Abhilfe schaffen. Zusätzlich sollte der betroffene Muskel regelmäßig gestreckt werden. Eine einfache Übung zur Streckung des Piriformismuskels (hier am Beispiel des rechten) besteht darin:
Sie legen sich flach auf den Rücken, stellen das linke Bein auf, sodass das Knie zur Decke zeigt und schlagen das rechte Bein über das linke, etwa so wie wenn Sie beim Sitzen die Beine übereinander schlagen. Jetzt kommt das rechte Hüftgelenk bereits in eine starke Innenrotation, wodurch der Piriformismuskel gestreckt wird. Dies verstärken Sie nun, indem Sie das rechte Knie mit beiden Händen umfassen und weiter zu Ihrem Kopf ziehen. Wahrscheinlich verspüren Sie jetzt in der Tiefe der rechten Pobacke einen ziehenden Schmerz. Das ist der verkürzte Piriformismuskel, den Sie nun dehnen. Vielleicht wird dadurch sogar Ihr bekannter Ischiasschmerz ausgelöst oder verstärkt. Das wäre ein weiterer Hinweis auf die Piriformisursache Ihrer Ischialgie. Halten Sie die Spannung etwa 30 Sekunden und lassen Sie dann wieder los und wiederholen Sie es einige Male. Gehen Sie maßvoll in diesen Schmerz, zuwenig bringt keine Streckung, zuviel reizt evtl. den Ischiasnerv zu sehr. Wiederholen Sie diese Streckungsübung regelmäßig mehrmals am Tag und über längere Zeit. Beobachten Sie, wie sich das auf Ihre Ischiasbeschwerden auswirkt.
Bandscheibenprobleme sind meist die Folge von chronisch verspannten Rückenmuskeln
Natürlich können Kompressionen von Spinalnervenwurzeln durch herausgedrückte oder gar eingerissene Bandscheiben nicht ausgeschlossen werden, aber auch hier gilt das Gleiche: Es sind meist chronisch angespannte Muskeln im Lendenbereich, vor allem die Quadrati lumborum Muskeln, die auf beiden Seiten der LWS von der untersten Rippe zum Beckenkamm führen, die die Lendenwirbel mit den dazwischen liegenden Bandscheiben buchstäblich in den Schraubstock nehmen und dadurch Rückenschmerzen, Bandscheibenprobleme und in der Folge mögliche Ischialgien hervorrufen. Myofasziale Triggerpunktarbeit an den betroffenen Muskeln, strukturelle und funktionale Körpertherapie und geeignete Bewegungs- und Haltungsschulung können hier in vielen Fällen Abhilfe schaffen.
Bertram Wohak